Kapitel 16
Am nächsten Morgen er-wachte Sophie sehr früh und kletterte leise aus dem Bett. Patrick lag in den zerwühlten, ein wenig muffigen Laken und von seinem Gesicht war nur die Spitze seines Ohrs auszumachen, die zwischen seinen schwarzen Locken hervorlugte. Einen Augenblick lang schreckten Sophies nackte Zehen vor dem kalten Steinfußboden zurück, aber dann streifte sie leise das Kleid über, das sie am Tag zuvor getragen hatte. Es ohne Simones Hilfe auf dem Rücken zuzumachen, war kein leichtes Unterfangen. Schließlich zog sie ihren Mantel über, schlüpfte in ihre Halbstiefel und schlich sich aus dem Zimmer.
Sobald sie den Raum verlassen hatte, drehte sich Patrick um und starrte mürrisch zu den mit Spinnweben überzogenen Balken hinauf, die sich knapp vier Meter über seinem Kopf befanden. Es geschah etwas mit ihm, das er noch nie zuvor erlebt hatte. Egal, wie geschickt er sie auch verführte, aber seine Frau gab sich ihm nie völlig hin. Obwohl er nicht ganz der Lebemann war, für den sie ihn hielt, hatten ihm seine früheren Geliebten an diesem Punkt der Beziehung jedoch stets ewige Liebe geschworen.
Patrick runzelte die Stirn. Was war er doch für ein arroganter Fatzke! Er hatte einfach angenommen, dass Sophie Braddon vergessen würde, den noch von ihr hören. Nein, er musste sie von ihr hören. Denn ...
Aber er kleidete sich lieber an und verließ den Raum, statt sich der Antwort auf dieses »Denn« zu stellen. Warum sollte er, der noch nie etwas von jemandem gebraucht hatte, von einer Frau Worte der Liebe hören müssen?
Patrick nahm sein Frühstück alleine in der Küche ein. Floret hielt Hof, umringt von einer amüsierten Gruppe walisischer Frauen, die wahrscheinlich kein Wort von dem verstanden, was er sagte, aber fasziniert einem von Florets besten Kunststücken zusahen - wie er, mit einer Hand ein Ei aufschlug.
Der Himmel, der hinter einem schmutzigen Öltuch zum Vorschein kam, das vor dem Küchenfenster hin und her flatterte, war wieder aufgeklart. Der Sturm war vorübergezogen. Patrick hatte es eilig, auf die Lark zurückzukehren und nachzusehen, ob Schaden entstanden war.
Er fand Sophie im Krankensaal. Sie stand auf der anderen Seite des Raums und unterhielt sich mit Hankfords Mutter. Patrick bemerkte sofort, dass Henri ihr wieder nicht von der Seite wich.
»Der junge Henry hat scheinbar Gefallen an Ihrer Frau gefunden«, sagte eine Stimme neben Patrick. Es war Hankford, der in die gleiche Richtung schaute. »Er redet wie ein Wasserfall, über seine Mutter und solche Dinge.«
Patrick blickte den jungen, pausbäckigen Mann an seiner Seite an. »Was werden Sie mit Henri und den anderen Burschen machen, wenn sie gesund sind?«
Hankford wirkte ein wenig besorgt. »Ich weiß es nicht. Ein paar von ihnen geht es gut genug, aufzubrechen, aber ich weiß nicht, wo ich sie hinschicken soll. Es gibt hier in der Gegend wenig Franzosen, und da würden sie ganz sicher auffallen. Zurück können sie auch nicht, denn dort werden sie nur wieder als Kanonenfutter benutzt.«
Patrick seufzte. »Schicken Sie sie nach London«, sagte er.
Hankford blickte ihn misstrauisch an. »Wie meinen Sie das, Sir?«
»Schicken Sie sie nach London und wir suchen ihnen dort eine Arbeit. London ist voller Franzosen, da werden sie nicht so auffallen.«
Blaue, lächelnde Augen blickten zu Patrick hoch, so als habe dieser sich plötzlich in eine goldene Statue verwandelt. »Das ist sehr gütig von Ihnen, Sir, wirklich sehr gütig. Wissen Sie, Ihre Lady hat das Gleiche vorgeschlagen, aber ich habe es abgelehnt, da Sie vielleicht nicht einverstanden sein würden. Es steht schon in der Bibel; das Weib ist dem Manne untertan. Das ist wirklich sehr gütig von Ihnen.«
Patrick schlenderte auf die andere Seite des Raums. Etwas kam ihm seltsam vor. Hatte John nicht gesagt, dass seine Mutter kein Englisch sprach? Und nur wenig Französisch? In welcher Sprache unterhielt sich Sophie dann mit ihr? Als er seine Frau erreichte, war Mrs Hankford zu ihren Patienten zurückgekehrt und Sophie drehte sich lächelnd zu ihm um.
»Guten Morgen, Patrick. Ich habe Henri gesagt, wir würden uns sehr über einen Besuch von ihm freuen -«
Da mischte sich Henri ein, »Sir, ich habe ihr schon gesagt, dass ich nicht wie ein vornehmer Herr zu Besuch kommen will. Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht eine Arbeit in Ihren Ställen geben.«
Patrick blickte auf Henri hinunter. Dessen Gesicht war von Linien der Anspannung durchzogen, und sein Körper war vornüber gebeugt, als wolle er eine Enttäuschung abwehren. In seinen grauen Augen stand jedoch unbändiger Stolz.
»Ich hatte mich darauf gefreut, Sie näher kennen zu lernen«, sagte Patrick ernst. »Als mein Gast, nicht als mein Stallbursche.«
Henri schüttelte den Kopf. »Ich bin kein cas de charité. Ich muss das Geld für meinen Unterhalt selber verdienen.«
»Wer war Ihr Vater, Henri?«
Henri straffte die Schultern. »Das ist unwichtig, denn er starb, als ich sehr jung war. Ich wurde von Monsieur Paire, einem Fischer, großgezogen.« Henri hatte offensichtlich einige republikanische Prinzipien aufgeschnappt, während er aufwuchs.
»Wer hat Ihnen die Verbeugung beigebracht?«, fragte Sophie. »Und die englische Sprache?«
»Früher hatte ich eine englische Kinderfrau«, sagte Henri. »Aber sie und Maman sind ebenfalls gestorben.« Er verstummte.
Henri ist der Sohn eines Gentleman, daran besteht gar kein Zweifel, dachte Patrick. Vielleicht kann ich einen seiner Verwandten finden, wenn jemand von ihnen überlebt hat.
»Kennen Sie den Namen Ihres Vaters, Henri?«, fragte Patrick sanft, aber mit einem unterschwelligen Befehlston in der Stimme.
»Monsieur Leigh Latour«, antwortete Henri widerstrebend. Und dann, nachdem er Patricks Blick begegnet war, fügte er hinzu: »Der Graf von Savoyard.«
Sophie kniete sich hin und nahm Henris Hand. Ach würde mich freuen, wenn Sie als mein Gast mit uns nach London kämen«, sagte sie. »Ich bin manchmal sehr einsam und Sie wären mir ein guter Gesellschafter.«
Patrick unterdrückte mühsam ein Lächeln. Sophie und einsam?
Henri schaute hastig unter dichten dunklen Wimpern zu ihr auf und senkte den Blick dann wieder zu Boden. »Ich glaube ... ich gehöre nicht in ein feines Haus«, sagte er. Er klang, als sei er den Tränen gefährlich nahe. »Meine Eltern können die Ehre nicht erwidern.«
»Sie würden mir einen großen Gefallen tun«, sagte Patrick. Ach bin sehr häufig nicht zu Hause und meine Frau fühlt sich, wie sie bereits erklärte, häufig einsam. Sie könnten ihr - ihr Adjutant sein, wenn ich fort bin.«
Henri kaute auf seiner Lippe.
»Sie können nicht nach Frankreich zurückkehren«, sagte Sophie, »und Sie können nicht für immer hier in diesem Kloster bleiben.«
Der junge wirkte immer noch nicht überzeugt, und so mischte sich Patrick noch einmal ein. »Ihr Vater hätte es gewünscht«, sagte er entschieden.
»Ich erinnere mich nicht an meinen Vater«, erwiderte Henri.
Verdammt, der junge war störrisch wie ein Maultier! »Dann müssen Sie eben einfach hinnehmen, dass ich Recht habe«, verkündete Patrick so förmlich er konnte. »Ihr Vater würde wollen, dass Sie im Haus eines Gentleman leben, nicht in einem walisischen Kloster und schon gar nicht in einem Stall.«
Sophie stand auf und strich ihre Röcke glatt. »Das wäre ja dann entschieden«, sagte sie kurz und bündig. »Henri, würden Sie Simone und Floret suchen und sie informieren, dass wir auf die Lark zurückkehren?«
Als Henri in Richtung Küche davonging, trat John Hankford nach vorne, der stumm zugehört hatte. »Ich hatte Bedenken, als Ihr Diener sagte, Sie müssten hier über Nacht Zuflucht suchen«, sagte er. »Ich dachte, Sie hätten schlechte Herzen, weil Sie doch aus London kommen. Aber es freut mich sagen zu können, dass das nicht der Fall ist. Es haben nicht alle aus London ein schlechtes Herz.«
Sophie wollte etwas erwidern, aber John fuhr fort. »Und noch etwas ... ich hätte auch nicht gedacht, dass Sie mit uns sprechen würden, Ma'am. Nicht in unserer Sprache. Ich bin bewegt, tief bewegt. Das werde ich meinen Freunden heute Abend im Pub auch erzählen. Londoner, die Walisisch sprechen! Da kann man doch glatt glauben, dass nicht alle Engländer schlecht sind.«
Sophie warf Patrick einen nervösen Blick zu. Die Wende in der Unterhaltung hatte ihn offensichtlich völlig verwirrt.
Nun ja, die Sache war aufgeflogen. Warum sollte sie also nicht höflich sein? Ohne Patrick zu beachten wechselte sie mühelos ins Walisische und verabschiedete sich von Johns Mutter. Dann wandte sie sich ihrem Ehemann zu und schenkte ihm ein liebliches Lächeln.
»Sollen wir auf die Lark zurückkehren?« Ihr Herz pochte nervös. War Patrick wütend? Er sah nicht sehr ungehalten aus. Wenn überhaupt, dann war er belustigt.
Sobald sie den Korridor betreten hatten, fragte Patrick: »Walisisch? Walisisch? Ist deine Mutter eine Franko Waliserin, falls es so etwas überhaupt gibt?«
»Oh nein«, erwiderte Sophie. »Unsere Waschfrau war Waliserin.«
»Die Waschfrau?« Ihr Gatte war offensichtlich sehr erstaunt. »Welchen Kontakt hattest du mit der Wäsche oder der Person, die sie gewaschen hat?«
»Ihr Name war Mary. Ich habe recht viel Zeit mit den Dienstmädchen verbracht«, erklärte Sophie, »da meine Erzieherinnen häufig gingen oder entlassen wurden. Schließlich hat mir Mary Walisisch beigebracht.«
Patrick musterte sie misstrauisch. »Was hast du angestellt, um sie zu verjagen? Hast du ihnen Mäuse ins Bett gesteckt?«
Sophie konnte sich nur mit Mühe ein Kichern verkneifen. »Nein, nein, ich war ein sehr braves Kind. Nein, es war die Schuld meines Vaters«, fügte sie unbehaglich hinzu.
»Oh.« Patrick reichte ihr ihren Muff. Henri der seine Rolle als Adjutant offensichtlich sehr ernst nahm - scheuchte Simone und Floret die Stufen zur Anlegestelle hinunter. Die Sonne war aufgegangen und vor ihnen lag ein klarer, kalter Tag. Hoch über ihnen kreisten zwei Habichte um die verwitterten Kamine des Klosters.
»Schau«, rief Sophie, um das Thema zu wechseln. »Meine Kinderfrau sagte immer, dass Habichte die Spinnweben vom Himmel fegen.«
»Deine Kinderfrau«, wiederholte Patrick. »Wo war deine Kinderfrau, während du dich bei der Waschfrau aufhieltest?«
»Sie war mit Marys Bruder verheiratet«, erklärte Sophie. »Und daher hat Mary eine Anstellung in unserem Haus bekommen. Normalerweise erlaubte mein Vater keine Bediensteten, die keine Franzosen waren.«
Langsam befiel Patrick, was Sophies Kindheit anging, eine schlimme Ahnung. »Also waren alle Bediensteten Franzosen, einschließlich der Erzieherinnen - denen dein Vater ganz freizügig den Hof machte?«
»>Den Hof machen< ist nicht gerade der richtige Ausdruck«, widersprach Sophie. »Schließlich riss er sie stets dann in die Arme, wenn er sicher sein konnte, dass meine Mutter vorbeikommen würde. Er machte das sehr offensichtlich. Sogar als Kind begriff ich, dass er das eher tat, um Mama zu verärgern als wegen der Erzieherinnen.«
»Nun, ich denke, das hat ihnen nicht sehr gefallen«, bemerkte Patrick.
»Ja«, sagte Sophie. »Sie hätten womöglich weniger Einwände gehabt, wenn er sie ehrlich bewundert hätte. Ich denke, es wäre meinem Vater ein wenig schwer gefallen, für einige meiner Erzieherinnen Bewunderung zu empfinden. Mademoiselle Derrida zum Beispiel hatte eine Busen wie ein Schiffsbug. Sie blieb eine ganze Weile bei uns.«
»Und was passierte dann?«
»Oh, Papa wurde von seiner letzten Amour abserviert und so blieb ihm keine Möglichkeit, meine Mutter im Ballsaal zu provozieren. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte meine Mutter sämtliche Bedienstete durch ältere und sehr unattraktive Frauen ersetzt. Also war Papa gezwungen, sich mit Mademoiselle Derrida zu behelfen.«
»Was hat er getan?«, fragte Patrick entsetzt und fasziniert zugleich.
»Nun, wenn ich mich recht erinnere, umarmte er Mademoiselle stürmisch im Blauen Salon.«
»Und?«
»Sie hat ihm die Brandyflasche über den Kopf gezogen.«
Patrick zuckte unwillkürlich zusammen.
»Es war eigentlich nicht ihre Schuld; es war der erstbeste Gegenstand, der ihr in die Finger kam. Aber es war auch das erste Mal, dass mein Vater und nicht meine Mutter eine Erzieherin entließ. Er hatte tagelang eine Beule über dem Auge. Ich weiß noch, dass ich sehr glücklich war, weil er eine ganze Woche lang jeden Abend zu Hause blieb. Nachdem Mademoiselle Derrida fort war, kam ich auf die Cheltham Ladys' School. Ich glaube, meine Mutter war es leid, sich schon wieder nach einer passenden Erzieherin umzusehen.«
Patrick schenkte Sophie erneut ein grimmiges Lächeln. Kein Wunder, dass sie glaubte, er würde gleich losziehen und Negligees kaufen, sobald sie ihm nur den Rücken zudrehte. Das Leben mit dem Marquis glich dem in einem Irrenhaus.
Sie erreichten die Anlegestelle und das wartende Schiff. Sogar Simone kletterte ohne zu murren die Strickleiter zur Lark hinauf, denn sie wollte so schnell wie möglich dem Wind entkommen, der die letzten Sturmwolken auf das Meer hinausblies.
Patrick brachte seine Frau hinunter in die Kabine, gab Henri in die Aufsicht eines verlässlichen Besatzungsmitglieds und suchte anschließend Kapitän Hibbert. Der Sturm hatte keinen offensichtlichen Schaden an der Lark verursacht und er wollte ohne weitere Verzögerung die Landzunge vor Milford Haven umsegeln.
Er hatte es plötzlich nicht mehr so eilig, in die Kabine hinunter zu stürmen und sich zu Sophie zu gesellen, wie er es normalerweise tat. Er schickte ihr sogar eine Nachricht, dass er an Deck zu Mittag essen werde, statt wie üblich mit ihr in der Kabine.
Erst als er am Steuer stand und die Landzunge umsegelte, konnte Patrick den Grund für seinen Unmut festmachen. Würde ihn seine Frau je lieben, wenn sie überzeugt war, dass alle Männer dem Beispiel ihres Vaters folgten? Sophie schien ohne Frage zu akzeptieren, dass er, Patrick, ein Lebemann der gleichen Art war. Patricks Herz sank. Wer anders als ein Lebemann würde eine Jungfrau in ihrem eigenen Schlafzimmer verführen? Wer sonst als ein Lebemann der schlimmsten Sorte würde seinem Schulfreund die Verlobte ausspannen?
Unten in der Kabine war Sophie nicht minder verzweifelt. Offensichtlich hatte ihre Mutter Recht gehabt mit ihrer Einschätzung, dass Männer Blaustrümpfe verabscheuten. Patrick war noch nie den ganzen Tag an Deck geblieben. Er war ihrer überdrüssig. Und es schien, dass er hochnäsiger war als sie gedacht hatte - die bloße Vorstellung, dass sie Zeit mit der Waschfrau verbracht hatte, schien ihn aus der Fassung zu bringen, ganz zu schweigen von ihren Walisischkenntnissen.
Ohne weiter darüber nachzudenken öffnete Sophie das Bullauge und warf ihre kostbare türkische Grammatik hinaus. Patrick durfte niemals erfahren, dass sie sieben Sprachen beherrschte.
Als die Schatten auf dem gebohnerten Holzboden der Kabine länger wurden, war Sophie furchtbar unglücklich. Das Schlimmste war, dass sie im Geheimen gewünscht hatte, Patrick von ihren Sprachkenntnissen zu erzählen. Sie hatte sogar die Hoffnung gehegt, mit ihrem Walisisch vor ihm anzugeben. Ich war zu stolz, dachte Sophie. Nun, Hochmut kommt vor dem Fall.
Gnadenlos kämpfte sie den Anflug von Enttäuschung nieder. Patrick war ihr Ehemann. Die Tatsache, dass er wie alle anderen Männer war, spielte keine Rolle. Eines konnte sie von der Situation ihre Eltern lernen, und zwar, dass sich eine Enttäuschung über ihren Angetrauten nicht in ihr festsetzen durfte.
Ich muss akzeptieren und dann vergessen, sagte sich Sophie. Diese Lektion trifft auf kleine und große Dinge zu, auf Sprachen und auf Geliebte.
Als es Zeit zum Abendessen war, tauchte Patrick schließlich in der Kabine auf. Er schämte sich ein wenig. Die Lark dümpelte friedlich vor Anker, so dass er am nächsten Morgen gleich den Steinhaufen inspizieren konnte, der ein halb fertiges Fort darstellte. Aber Sophie war den ganzen Tag nicht aus der Kabine aufgetaucht.
Er hatte das Schiff gesteuert, Henris neue Fähigkeit beim Knoten knüpfen bewundert und das Logbuch gelesen. Außerdem hatte er immer wieder zu der Treppe hinübergeschaut, die zur Hauptkabine führte, in der Hoffnung, dass Sophie erscheinen würde. Aber das war sie nicht und er hatte sie vermisst.
Kein einziges Mitglied der Besatzung zuckte auch nur mit der Wimper, als der Herr schließlich die Waffen streckte und die Stufen zu seiner Kabine hinunterstürzte. Sie hatten sich inzwischen an solche Vorkommnisse gewöhnt. Vor allem, nachdem Kapitän Hibbert sie aufgefordert hatte, alle sonderbaren Aktivitäten zu ignorieren, da es ihnen sonst schlecht ergehen würde.
Aber Sophie wartete nicht auf Patrick. Sie hatte sich ins Bett gekuschelt und schlief tief und fest. Mit einiger Überraschung entdeckte Patrick Tränenspuren auf ihren Wangen. Er hatte angenommen, dass sie einfach an Deck kommen würde, wenn sie es wünschte. Nun schämte er sich wirklich aufrichtig. Warum hatte er sie nicht geholt?
Sophie wachte auf, als er ihr übers Haar strich.
»Was ist das hier?« Patricks Finger strich über ihre Wangen und seine Stimme klang ein wenig rau.
Sophie lächelte. »Ich hatte nur einen melancholischen Nachmittag, das ist alles. Du weißt, es ist das Vorrecht der Frau zu weinen.«
Patrick strich mit seinen Lippen über die ihren. »Hast du geweint, weil ich dir keine förmliche Einladung zu einer Partie Backgammon auf Deck geschickt habe?«
»Nein«, erwiderte Sophie.
Ach habe dich vermisst.« Sein warmer Atem schickte wohlige Schauer über Sophies Rücken. »Ich habe die ganze Zeit gehofft, du würdest oben erscheinen, Ehefrau vieler Sprachen.«
Sophie musterte Patrick eindringlich, aber seine dunklen Augen verrieten nichts.
»Missfällt es dir, dass ich Walisisch spreche?«
»Gott, nein, warum sollte es mir missfallen?«
Seine Stimme klingt aufrichtig überrascht, dachte Sophie.
Ich war schockiert«, sagte Patrick, »aber nicht so sehr über dein Walisisch - das war eine schöne Überraschung -, sondern über das, was du von deiner Kindheit erzählt hast. Es war bestimmt nicht leicht, mit deinen Eltern aufzuwachsen.«
Sophie sah keine Notwendigkeit, dieses Thema weiter zu diskutieren. »Was ist mit deinen Eltern? Haben sie sich gestritten?«
»Ich habe keine Ahnung« erwiderte Patrick und legte sich auf einen Ellbogen gestützt neben sie auf das Bett. »Ich habe meinen Vater nur bei formellen Anlässen getroffen. Sie müssen ganz gut miteinander ausgekommen sein. Mir ist jedenfalls nichts Gegenteiliges zu Ohren gekommen.« Er brauchte nicht erst hinzuzufügen, dass die Probleme von Sophies Eltern der feinen Gesellschaft sehr wohl bekannt waren.
»Wie war deine Mutter?«, fragte Sophie und schaute ihn neugierig an.
Patrick beugte sich vor und zeichnete mit einem Finger ihren Wangenknochen nach. »Sie ähnelte dir sehr«, sage er. »Sie war klein und zierlich. Ich weiß noch, dass unser Kindermädchen immer mit uns schimpfte. Wenn unsere Mutter ins Kinderzimmer kam, kletterten Alex und ich immer auf ihren Schoß und zerknitterten ihre Kleider. Sie war stets sehr elegant, aber es kümmerte sie nicht, wenn wir ihre Kleider zerdrückten. Sie trug Reifröcke, daran kann ich mich erinnern. Und sie roch nach Glockenblumen.«
»Wie alt warst du, als sie starb?«, fragte Sophie.
Patricks Hand löste sich vom Gesicht seiner Frau und fiel nach unten. »Wir waren sieben. Sie starb bei der Geburt eines jungen, der ebenfalls nicht überlebte.«
Sophie nahm Patricks Hand und schmiegte ihre Wange hinein. Dann rutschte sie ein wenig näher, bis sich ihr warmer Körper an ihn kuschelte.
»Es tut mir Leid, Patrick. Es tut mir furchtbar Leid.«
Patrick wandte überrascht den Kopf. Er hatte auf die Wand gestarrt und an die Vergangenheit zurückgedacht. »Das ist schon lange her«, sagte er und lächelte auf sie hinunter. Man könnte von einer Frau abhängig werden, die sich an einen kuschelt wie ein Küken in sein Nest, dachte er.
» So, hast du noch weitere Überraschungen für mich auf Lager, Weib? Vielleicht sprichst du auch Norwegisch? Oder Schwedisch?«
In der Kabine herrschte einen Moment lang Stille.
»Nein, bestimmt nicht«, versicherte Sophie ihm und schüttelte vehement den Kopf. »Keine weiteren Überraschungen mehr, Patrick.«
Er rollte sich auf den Rücken und zog sie an seine Brust. »Es ist großartig, so eine gebildete Frau zu haben«, sagte er verträumt. »Morgen werden wir mit dem Schiff eine Woche oder länger vor Anker gehen. Wir suchen uns ein Gasthaus und du kannst das Essen bestellen und mit dem Gastwirt streiten.«
Sophies Wange lag an Patricks Leinenhemd. »Hast du deine Mutter nach ihrem Tod sehr vermisst?« Sie schien den Tränen wieder verdächtig nah zu sein.
»Oh ja«, sagte Patrick sachlich. »Ich war wohl ein Muttersöhnchen. Alex wurde immer zu meinem Vater zitiert, da er der Erbe war und dann hatte ich unsere Mutter für mich. Es sollte ein Trost sein, da ich nicht der Erbe war, aber ich glaube, Alex hätte alles dafür gegeben, bei unserer Mutter bleiben zu dürfen, und das wussten wir beide.«
Eine Träne rollte Sophies Wange entlang und verschwand in dem cremefarbenen Stoff von Patricks Hemd. Sie konnte die Vorstellung nicht er tragen, dass der kleine Patrick seine Mutter vermisst hatte. Sie konnte es einfach nicht ertragen.
»Hast du geweint?« Ihre Stimme war ungewöhnlich hoch, aber Patrick bemerkte es nicht. Er war in Gedanken wieder bei der schrecklichen Woche, in der seine Mutter gestorben war.
»Geweint? Ich konnte gar nicht aufhören. Unglücklicherweise hatte ich mich am Tag vor ihrem Tod schlecht betragen. Ich hatte geschwindelt und sie hatte mich, natürlich zu Recht, dafür getadelt. Aber niemand konnte ahnen, dass die Geburt so gefährlich sein könnte, da meine Mutter mit mir und Alex keine Schwierigkeiten hatte. Ich wartete in jener Nacht auf sie. Sie kam immer und gab uns einen Gutenachtkuss, und ich wusste, sie würde nicht mehr böse mit mir sein. Aber sie kam nicht.«
Weitere Tränen durchtränkten Patricks Hemd. »Oh Patrick!«, flüsterte sie erstickt, aber Patrick war immer noch tief in Erinnerungen versunken, die er fast vergessen hatte.
»Also stand ich auf und schlich in meinem Nachthemd durch die Flure, denn sie war immer zu mir gekommen. Ich war noch nicht weit gekommen -«
»Was ist passiert, Patrick?«
Sein Arm zog Sophie enger an seinen Körper. »Ich hörte sie schreien«, sagte er. »Ich rannte zurück zu meinem Bett und versteckte meinen Kopf unter den Decken. Am nächsten Morgen dachte ich, es sei alles nur ein Traum gewesen, aber sie war gestorben.«
» Oh, Patrick, das ist so traurig!«
Er stützte sich auf den Ellbogen und blickte sie schockiert an. Seine elegante Frau schluchzte hemmungslos.
»Was zum Teufel ist los, Sophie? Weine nicht, Liebling. Es war nicht so schlimm.«
Sophie weinte nur noch stärker und vergrub ihr Gesicht in seinem Hemd. Patricks küsste sie auf die Stirn, denn das war alles, was von ihrem Gesicht zu sehen war. Irgendwann hörte sie auf und erlaubte Patrick, ihr das Gesicht mit seinem Taschentuch zu trocknen.
»Es tut mir Leid«, sagte sie verlegen. »Ich bin heute Nachmittag sehr melancholisch gestimmt.« Dann errötete sie ein wenig, als sie an all die Lügen dachte, die sie ihm erzählt hatte. Sie wusste genau, warum sie melancholisch war.
Patrick sah ihre geröteten Wangen und plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Dein Anfall von Melancholie hat nichts mit der Tatsache zu tun, dass ich heute den ganzen Tag auf Deck geblieben bin?«
»Das hat nichts damit zu tun«, sagte Sophie und ihre Stimme zitterte ein wenig, als er ihr eine Reihe von Küssen auf den Hals drückte. »Ich bin nur in einer weinerlichen Stimmung, das ist alles.« Sie klang ein wenig abwehrend.
Aha, schoss es Patrick durch den Kopf. Sophie war an diesem bestimmten Zeitpunkt des Monats angelangt. Nun, es war gut zu wissen, dass seine Frau mit Tränen reagierte statt Dinge nach ihm zu werfen, wie Arabella es getan hatte. Man hätte eine Uhr nach seiner ehemaligen Geliebten stellen können. Pünktlich jeden Monat zerbrach sie ein Teil des Geschirrs, indem sie es ihm an den Kopf warf. Sophie hat wohl noch nicht begriffen, dass man dies nicht vor seinem Ehemann verbergen kann, dachte Patrick.
»Bist du regelmäßig?«, fragte er.
Sophie blickte ihn verwirrt an. »Regelmäßig womit?«
Patricks gebräunte Haut überzog eine leichte Röte. »Regelmäßig ... bei der Frauensache«, sagte er und wedelte verlegen mit der Hand.
Sophie bemerkte fasziniert, dass er auf ihre Taille zu zeigen schien. Schließlich begriff sie, worauf er hinauswollte und dann war es an ihr, zu erröten.
»Ach, ja, mehr oder weniger ... nun, eigentlich nicht.«
»Ach, du bist unregelmäßig. Das liegt wahrscheinlich daran, dass du Jungfrau warst«, sagte Patrick ein wenig blasiert. »Aber jetzt, da du verheiratet bist, wird sich das sicherlich geben.«
Sophie blickte ihn entsetzt an. »Woher weißt du solche Dinge?«
Patrick wich ihrer Frage aus. »Wir müssen offen darüber sprechen, Sophie, denn die Regelmäßigkeit ist wichtig, um ein Kind zu vermeiden.«
Sophie starrte ihn mit offenem Mund an. »Wovon sprichst du?«
»Es gibt gewisse Zeiten im Monat, an denen sich ein Paar lieben kann, ohne dass die Gefahr besteht, ein Kind zu zeugen«, erklärte er. »Und dann gibt es Dinge, die man während des restlichen Monats tun kann, um es zu verhindern. Und ich habe nichts davon beherzigt«, fügte er hinzu und ein grimmiger Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Es muss an dir liegen, Sophie.«
»An mir!«
»An deinem Körper«, erwiderte Patrick und sein Mund schwebte dicht über ihrem. »Ich war den letzten Monat völlig verzaubert. Aber wir dürfen nicht weiter wie leichtsinnige Liebende handeln, Sophie. Sobald deine nächste monatliche Blutung da ist, sag es mir, und wir können einen Plan ausarbeiten.«
»Ich habe diese Information noch nie zuvor jemandem mitgeteilt«, sagte Sophie und in ihrer Stimme schwang ein scharfer Unterton mit. »Und es wollte auch noch nie jemand Zeitpläne mit mir aufstellen.«
»Du warst auch noch nie zuvor verheiratet«, gab Patrick zu bedenken. Er knabberte an ihrem Kinn. »Wir hatten bis jetzt sehr viel Glück. Glaubst du, deine Blutung setzt morgen ein?«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Sophie mit eisiger Stimme.
Nun, ich schon, dachte Patrick. Aber es hatte keinen Sinn, seiner Frau seine Kenntnisse über weibliche Stimmungsschwankungen zu offenbaren. Sie hielt ihn sowieso schon für einen Don Juan.
»Lass uns im Bett zu Abend essen«, sagte Patrick. »Ich werde dich füttern.«
Sophies Augen weiteten sich. »Du willst mich füttern?«
Patricks lächelte sie verwegen an und ihr Widerstand schmolz dahin. »Es wird dir gefallen. Ich verspreche es.«
Sophie war völlig fasziniert von der Erfahrung, im Bett zu essen. Als Patrick schließlich das Zitronenmousse von ihrem Körper naschte, reagierte sie mit solch einem hemmungslosen Eifer, dass beide sämtliche Gedanken an Zeitpläne, Empfängnis und dergleichen völlig vergaßen.
Als Madeleines Vater vor die Wahl gestellt wurde, seine Tochter an die große amerikanische Wildnis zu verlieren oder ihr zu erlauben, sich ein paar Wochen lang als französische Aristokratin auszugeben, zögerte er nicht lange.
»Liebst du diesen Tunichtgut«, fragte er Madeleine auf Französisch, während Braddon höflich neben ihr stand.
»Oui, Papa«, erwiderte Madeleine mit mädchenhafter Fügsamkeit. »Aber er ist kein Tunichtgut, Papa!«
»Doch, das ist er«, sagte ihr Vater nachdrücklich. »Er ist jedoch auch ein Graf, und du könntest wahrlich eine schlechtere Partie machen.«
»Haben Sie einen großen Besitz?« Durchdringende Augen unter dichten, grauen Augenbrauen richteten sich mürrisch auf Braddon, der zusammenzuckte, da er der Unterhaltung nicht mehr gefolgt war, seit Vater und Tochter ins Französische gewechselt waren. Er war noch nie gut in Sprachen gewesen.
»Ja«, antwortete Braddon hastig, als ihn Madeleines Ellbogen traf. »Ich habe fünfundzwanzigtausend Pfund im Jahr. Mein Anwesen ist in Leicestershire und ich habe Häuser in Delbington und London. Ich besitze einen guten Stall in Leicestershire«, fügte er hinzu, »Bei der letzten Zählung waren es vierunddreißig Pferde.«
»Vierunddreißig! Kein großer Haushalt hat weniger als fünfzig«, fuhr Garnier ihn an. Dann musterte er seinen zukünftigen Schwiegersohn eindringlich. Unter den englischen Aristokraten gab es einfach zu viel Inzucht. Das war Slaslows Problem. »Und welcher Graf sind Sie?«
Braddon blieb der Mund offen stehen. Was zum Teufel meinte der Alte? »Der Graf von Slaslow«, stammelte er.
»Nein! Der wievielte?«
»Oh«, erwiderte Braddon. »Ich bin der Zweite. Mein Vater wurde in den Sechzigern zum Grafen ernannt.«
Er sah, wie Vincent die Stirn runzelte. Wie es schien, wussten sogar Pferdehändler, dass zweite Grafen neue Grafen waren. »Mein Großvater war ein Viscount«, sagte Braddon abwehrend.
»Hm.«
»Ich möchte diesen Mann heiraten«, sagte Madeleine zu ihrem Vater und setzte der lächerlichen männlichen Diskussion über die Anzahl von Pferden und Grafen ein Ende.
»Du wirst ihn nicht heiraten, wenn er plant, dich mit nach Amerika zu nehmen«, sagte ihr Vater.
»Dann werden wir in London bleiben und so tun, als sei ich eine französische Aristokratin«, sagte die praktisch veranlagte Madeleine. »Braddons Bekannte wird mir helfen, mich wie eine vornehme Dame zu benehmen. Ich besuche anschließend einen Ball und Braddon tut so, als würde er sich in mich verlieben. Und das wär's.«
Garnier verzog den Mund. Ganz offensichtlich ging es ihm gegen den Strich, so einen unaufrichtigen Plan zu unterstützen.
»Und was, wenn es jemand herausfindet?«, knurrte er Braddon an.
»Dann heirate ich Madeleine sofort«, antwortete Braddon. »Im Grunde würde ich sowieso viel lieber sofort heiraten. Meine Familie kann nichts dagegen unternehmen und ich gebe nichts auf meine Reputation innerhalb der feinen Gesellschaft.«
Garnier nahm dies beifällig zur Kenntnis.
»Du könntest dich als die Tochter des Marquis de Flammarion ausgeben«, sagte er mürrisch zu Madeleine. »Du bist im gleichen Alter.«
»Oh, Papa«, rief Madeleine, »das ist eine großartige Idee!« Sie wandte sich an Braddon. »Mein Papa hat für den Marquis und seine Familie gearbeitet. Ich war zu jung, als ich Frankreich verließ, um mich an sie zu erinnern, aber Papa hat mir alles über ihr Anwesen im Limousin und das Haus in Paris in der Rue Vosgirard erzählt. Der Marquis war wunderlich und ging selten aus, aber seine Frau war sehr schön und elegant.«
»Was ist mit den Verwandten, Sir? In London wimmelt es nur so von französischen Immigranten und sie scheinen sich alle zu kennen.«
»Niemand kannte die Familie des Marquis«, sagte Garnier. »Er blieb für sich. Seine Frau, ja, sie reiste gelegentlich nach Paris. Aber der Marquis und seine Töchter blieben stets zu Hause.«
»Damit wäre die Sache geklärt«, sagte Braddon erleichtert. »Du brauchst nicht viel aus deiner
Vergangenheit zu erzählen, Madeleine. Wenn die Tochter des Marquis während der Unruhen in Frankreich in deinem Alter war, kann sie sich nicht sehr genau erinnern.«
Er wandte sich an Garnier. »Ich nehme an, der Marquis hat nicht überlebt? Er wird also nicht in London auftauchen, oder?«
Garnier schüttelte vehement den Kopf, die Lippen fest zusammengepresst.
Aber Madeleine wirkte nicht sehr glücklich. »Wie kann ich vorgeben, die Tochter der Marquise de Flammarion zu sein?«, fragte sie unglücklich und blickte ihren Vater an. »Du hast mir immer wieder erzählt, wie elegant und perfekt die Marquise war. Was ist mit den Leuten, die sie gekannt haben? Sie werden einen Blick auf mich werfen und sofort wissen, dass ich nicht wie die schöne Marquise bin!«
Die beiden Männer, die sie von allen Menschen auf der Welt am innigsten liebten, blickten sie verständnislos an.
»Du bist schön«, sagte Braddon mit absoluter Überzeugung in der Stimme. »Außerdem sehen Töchter oft nicht so aus wie ihre Mütter. Schau dir meine arme Schwester Margaret an. Meine Mutter hat immer geschworen, dass das Mädchen zu viele Sommersprossen hat, um ihre Tochter zu sein, aber Margaret hat dennoch eine gute Partie gemacht.«
Nach dieser verworrenen Ansprache herrschte einen Moment lang Schweigen.
Vincent Garnier hatte die Augenbrauen finster zusammengezogen. »Du bist ein bezauberndes Mädchen«, teilte er Madeleine mit, und seine Stimme duldete keine Widerrede. »Außerdem werden die Leute annehmen, dass du nach dem Marquis schlägst.«
»Aber sie müssen doch wissen, wie er ausgesehen hat«, beharrte Madeleine. »Ich bin sicher, er war ebenfalls schlank und elegant.« Sie blickte an ihrem üppigen Körper hinunter. »Ich sehe einfach nicht aus wie eine Aristokratin!«
»Du siehst besser aus als jede einzelne dieser frivolen, schafsköpfigen Frauen«, bellte ihr Vater sie an. »Ich will kein weiteres Wort darüber hören!«
Madeleine zuckte überrascht zusammen. Ihr Vater war ein schweigsamer Mann, der nicht viel redete und noch seltener schrie.
»Schon gut, Papa«, sagte sie beschwichtigend.
Braddon nahm ihren Arm und lächelte auf sie hinunter. Seine blauen Augen blickten sie offen und ehrlich an. »Ich möchte dich gar nicht schlank und elegant. Ich will dich genau so wie du bist.« Etwas in seiner Stimme trieb ihr die Röte in die Wangen.
»Ne dîtes pas ca!«, protestierte sie. »Papa wird dich hören.«
Aber als Madeleine zu ihrem Vater hinüberblickte, hatte er sich bereits wieder an seine Bücher gemacht. Seine Mundwinkel umspielte zwar ein leises Lächeln, aber sie konnte nicht deuten, ob er Braddons Bemerkung gehört hatte oder nicht.
»Geht! Geht!«, bellte Garnier. Er blickte Braddon scharf an. »Sie können Lady Sophie bitten, uns zu besuchen, sobald sie von ihrer Hochzeitsreise zurückgekehrt ist. Ich möchte gerne die Frau kennen lernen, die meiner Tochter beibringen soll, sich wie eine Dame zu benehmen. In den Artikeln der Morning Post wirkt sie wie eine frivole Person.«
Braddon verbeugte sich respektvoll und hoffte, dass Sophie nicht zu den Frauen zählte, die etwas dagegen hatten, einen öffentlichen Stall zu besuchen. Und er hoffte, dass die Lark bald nach London zurückkehren würde.
Lord Breksby teilte Braddons Gefühle hinsichtlich der Rückkehr der Lark. Er verbrachte einige Zeit damit, sich über die unangenehme Nachricht zu sorgen, dass Napoleon hoffte, Englands Geschenk an Selim zu sabotieren.
Sophies Mutter, die einige neue, aufwühlende aber nicht unangenehme Erfahrungen machte, wünschte sich ebenfalls sehnsüchtig, dass ihre Tochter bald nach London zurückkehrte. Eloise fand das Haus merkwürdig still ohne Sophie, auch wenn darin an die vierzig Dienstboten lebten. Andererseits schien sie ständig George zu begegnen, obwohl sie ihn vor der Heirat ihrer Tochter nur an den Abenden gesehen hatte.
Aus irgendeinem Grund hatte ihr Mann kein Interesse mehr daran, sofort in den Klub aufzubrechen. Nun, da er die heiligen Pforten zum Schlafzimmer seiner Frau durchschritten hatte ... nun, es machte wirklich Spaß, immer wieder aufs Neue zu versuchen, seine förmliche Marquise zu einer nachmittäglichen Indiskretion zu verleiten. Aber George vermisste seine kleine Sophie ebenfalls. Es war ihm noch nie aufgegangen, wie sehr er ihre unbekümmerte offene Herzlichkeit und Liebe brauchte, damit er sich weniger - weniger einsam fühlte. George schob den Gedanken beiseite und machte sich auf die Suche nach Eloise. Es war zwar erst zehn Uhr morgens, aber warum sollte er nicht ein wenig seine Frau belästigen?
Im Großen und Ganzen gab es eine Menge Londoner, die an die Rückkehr der Lark dachten. In der Gegend, die Whitefriars genannt wurde, äußerte ein schlanker und sehniger Mann den gleichen Wunsch.
»Sobald Foakes zurück ist«, sagte er und wandte den Blick von den Spinnweben ab, die von den dunklen und niedrigen Dachbalken herunterhingen, »sollte wir uns ihm ... vorsichtig nähern.«
Sein Begleiter dachte über die Bedeutung der Worte nach. »Ob wir nun vorsichtig sind oder nicht, Foakes hat das Zepter nicht«, sagte er. »Und nachdem was ich gehört habe, werden sie es ihm erst geben, wenn er drüben ist. Es ist wirklich eine Schande. Eine verfluchte Schande.«
Monsieur Foucault (denn so wurde er in London genannt) seufzte. Er wusste nicht, wie die Information über den köstlichen Plan, Selims Rubinzepter durch eine Bombe zu ersetzen, an die englische Regierung durchgesickert war, aber es hatte keinen Sinn mehr, darüber Tränen zu vergießen. »Clemper wurde entlassen und nun haben wir keinen Zugang zu dem Zepter mehr.« In seiner Stimme schwang ein leiser Tadel mit. »Wir müssen unser Ziel mit anderen Mitteln erreichen.
Und unser Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass der englische Botschafter Selims Krönung in Gefahr bringt.«
»Ich finde immer noch, dass es eine Schande ist«, sagte Mole (so wurde er von seinen Freunden genannt.) »Ich hatte alles so gut eingefädelt. Clemper sollte das Zepter einfach blitzschnell austauschen.«
Monsieur Foucault seufzte erneut. Es schmerzte ihn ebenfalls, da er vorgehabt hatte, ein paar der Rubine abzuzweigen, mit denen die englische Regierung das Zepter schmücken wollte.
»Warum ziehe ich nicht einen der Männer auf unsere Seite, die an dem Zepter arbeiten?«, schlug Mole vor.
»Unmöglich« erwiderte Foucault. Der Gestank in Moles Haus war wirklich widerlich. Foucault beschloss, nur noch durch den Mund zu atmen was seiner Stimme einen seltsam atemlosen Klang gab. »Die ursprünglichen Juweliere wurden alle entlassen und ich bin sicher, dass die neuen Angestellten uns weniger freundlich gesonnen sind als unser Clemper.«
»Nun, da haben Sie womöglich Recht«, räumte Mole ein. »Was sagen wir also zu Foakes, wenn er zurückkehrt?«
»Ich denke, wir werden uns Foakes als Abgesandte von Selims Hof vorstellen«, erwiderte Foucault.
»Oh.« Es entstand eine kurze Stille.
»Sie sprechen doch Türkisch ...? Ich erinnere mich deutlich, dass das eine Voraussetzung für diesen Auftrag war«, sagte Monsieur Foucault sanft, nahm ein Spitzentaschentuch aus seiner Tasche und wedelte damit vor seinem Gesicht herum. Er vermied es, Mole anzublicken.
»Ich spreche die Sprache ein wenig«, sagte Mole und in seiner Stimme schwang ein leiser Zweifel mit. »Das habe ich von meiner Mutter gelernt.«
Monsieur Foucault behielt für sich, dass er Moles Mutter keine besonderen Qualitäten als Lehrerin zubilligte. »Bu masa mi? Übersetzen Sie das bitte, mein lieber Mole.« Hinter seinen sanften Worten lag ein eisiger Unterton.
Aber Mole war der Herausforderung gewachsen. »Ja, das ist ein Tisch«, sagte er und klopfte mit den Knöcheln auf die dicke Holzplatte vor sich.
Foucault lächelte und Mole entspannte sich. »Sie müssen nicht mehr sagen«, sagte Foucault. »Ich werde mich als Gesandter von Selims Hof präsentieren, und mein Türkisch ist ausgezeichnet.«
Mole nickte. Er zupfte an seinen Hosen aus Kammgarn.
»Ich werde meinen Schneider vorbeischicken«, sagte Monsieur Foucault und in seinen Augen funkelte es belustigt. Es entsprach seinem Sinn für Humor, seinem zart besaiteten Schneider Francois zu befehlen, die gefährlichen dunklen Gassen von Whitefriars zu betreten.
Mole nickte erneut.
»Sie, mein lieber Mole, können in den nächsten Tagen Patrick Foakes' Stadthaus im Auge behalten. Ich möchte ihn gerne aufsuchen, sobald er zurückkommt. Und wenn Sie dort sind ... wären Sie vielleicht so freundlich und erkundigen sich nach dem Haushalt, für den unwahrscheinlichen, sehr unwahrscheinlichen Fall, dass unsere vorsichtige Annäherung nicht fruchtet.«
Moles Augen begannen zu leuchten. Das begriff er. »Geht in Ordnung«, sagte er fröhlich.
Monsieur Foucault schlenderte mit einem Lächeln auf den dünnen Lippen zu seiner wartenden Kutsche zurück.